Um 4:30 Uhr will ich mich heute mit René auf einem Parkplatz an der Döberitzer Heide treffen. Bei meiner Ankunft hatte ich im Hotel Bescheid gegeben, dass ich am Dienstag bereits um 3:45 Uhr auschecken muss. Gestern Abend hatte ich vorsorglich noch einmal daran erinnert. Heute Morgen? Ich stehe vor verschlossener Hoteltüre und weit und breit ist nichts vom Nachtportier o.ä. zu sehen! Wie komme ich hier nur pünktlich raus?
Auf der Empfangstheke sehe ich eine Glocke. Ich schlage kräftig auf sie ein und rufe nach dem Nachtportier. Endlich, nach gefühlt ewig langer Zeit kommt der Nachtwächter verschlafen aus Richtung Hotelküche und regt sich darüber auf, dass ihm niemand gesagt hat, dass ich so zeitig auschecken würde. Mir sind seine internen Probleme ziemlich egal, ich will endlich raus hier und zur Döberitzer Heide fahren! Aber zuerst muss er einmal in Ruhe nachsehen, ob ich auch alles bezahlt habe. Leider findet er den Vermerk nicht, dass bereits bei der Online-Buchung das Geld überwiesen wurde. Langsam aber sicher werde ich nun ungehalten. Irgendwann ist der Nacht-Mensch dann doch endlich wach genug, um den Vermerk auf dem Bildschirm zu entdecken!
Wie gut für mich, dass ich vorsorglich einen zeitlichen Puffer einkalkuliert habe. So komme ich mit einer halben Minute Verspätung am vereinbarten Treffpunkt an. Während wir uns Richtung Grasmücken-Revier bewegen, klärt René mich über das Gebiet auf. Die Döberitzer Heide war zu DDR-Zeiten der größte Truppenübungsplatz der Roten Armee. Nachdem 1992 die Russen abgezogen waren, wurde das Gebiet zum Naturschutzgebiet, mit einer für Besucher unzugänglichen Kernzone, die von einer Naturerlebniszone umringt ist ausgebaut. Im Jahr 2004 wurde fast das gesamte Gebiet von der Heinz-Sielmann-Stiftung erworben.
Ständig fahren Fahrzeuge mit Sielmännern durch das Gelände und wirbeln den feinen Sand auf. Ich bin besorgt, ob der Sand meine Ausrüstung schädigt. Ein Fahrzeug hält neben uns an und einer der Sielmänner sagt: “Wir haben heute eine Aktion mit den Wisenten. Bitte fotografieren Sie nichts davon!“. Das haben wir sowieso nicht vor, und einige der Wisente habe ich gerade eben noch abgelichtet. Während wir in der Ferne die Geräusche der „Aktion“ (vermutlich Kälber-Impfung) hören, konzentrieren wir uns auf die Sperbergrasmücken. Es ist schwer, sie zu erwischen. Leichter habe ich es mit dem Neuntöter, der anscheinend unbedingt fotografiert werden will.
René würde gerne einen der Wiedehopfe knipsen, deren „Uuup, Uuup, Uuup“ ständig zu hören ist. Wir wandern ein Stück durch die Heide und René zeigt mir die Stellen, wo Schwarzkehlchen, Braunkehlchen, Dorngrasmücke und Steinschmätzer ihre Reviere haben. Gegen 11 Uhr beschließen wir, eine kleine Mittagspause zu machen und dann zu den Linumer Teichen zu fahren.
Ich habe vor, morgen früh, vor meiner Heimreise, noch einmal hierher fahren und mein Glück versuchen. René hat mir in der Pension, in der er mit seiner Frau Urlaub macht, ein Zimmer besorgt. Die Pension liegt ganz in der Nähe und das Beste: Ein gutes Steak-Restaurant ist von dort aus zu Fuß zu erreichen! Also am Abend nichts wie hin, zum Spanier José. Mein „Kinderteller“ mit dem 400 gr Entrecôte, der Backkartoffel und den zwei Weizen mildern den schlimmsten Hunger. Mit anderen Worten: Ich bin anschließend pappsatt! Das war das Beste und Preiswerteste, was ich hier in der Gegend bekommen habe. Und auch die beste/aufmerksamste Bedienung. Allerdings spricht José nicht spanisch, sondern arabisch. Das wiederum kommt mir spanisch vor.
Auf dem Nachhauseweg begegnet mir ein Farbiger. Besser gesagt, ein Zweifarbiger. Ich hatte den Brummi-Fahrer bereits auf dem Weg zu José an seinem Fahrzeug kurz gesehen. Jetzt geht der Zweifarbige in voller Pracht an mir vorbei: Er trägt wohl üblicherweise ein Hemd mit Halbärmeln, jetzt aber ein Muskelshirt. Dort, wo das Halbärmelhemd die Sonne abschirmt, ist er knallweiß. Der Rest ist dunkelbraun, fast schwarz.
In der Pension schaue ich sofort nach, ob mein zweitgrößtes Organ (die Haut) ähnliche Symptome aufweist. Wer jetzt grinsend mutmaßt, was wohl mein größtes Organ ist, der sollte seine zweideutigen Gedanken zügeln! Zur Beruhigung: Mein größtes Organ ist nicht das, was Ihr denkt. Es ist die Leber…
Am nächsten Morgen düse ich noch einmal in die Döberitzer Heide. Die Protagonisten von gestern lassen sich auch heute wieder blicken. So kann ich die Sperbergrasmücke, das Braunkehlchen und den Steinschmätzer, der zwischen den Trümmern eingerissener Militärbaracken lebt, in Ruhe auf das Silizium bannen. Die rufenden Wiedehopfe und die trompetenden Kraniche bekomme ich nicht zu Gesicht. Der Kuckuck kuckt sich die Seele aus dem Leib. Irgendwann fliegt er ganz schnell an mir vorbei. Keine Chance für ein Foto.
Die Zeit ist leider viel zu kurz und die Wege zu weit. Es würde sich wirklich lohnen, einmal mit dem Fahrrad die Döberitzer Heide komplett zu erkunden. Am späten Vormittag muss ich mich dann auf die 600 km weite Heimreise begeben.
Abends bekomme ich zu Hause eine WhatsApp von René mit einem angehängten Foto : „Ich habe gerade in der Döberitzer Heide meinen ersten Wiedehopf fotografiert!“.
Für mich gilt es nun, nach diesen acht erfolgreichen Fototagen auch mental wieder zu Hause anzukommen. Denn eigentlich bin ich, mit wenigen Ausnahme-Tagen seit sechs Wochen im Dauereinsatz.
Hier die Links zu den Berichten meiner beiden großen Frühlings-Rundreisen:
Pralles Leben im Norden Teil I – Im Ochsenmoor
Pralles Leben im Norden Teil II – Am Jadebusen
Pralles Leben im Norden Teil III – Odinsloch und Umgebung
Hallo Ronald!
Dein toller Bericht mit wunderschönen Fotos lassen mich diesen schönen Tag mit dir noch einmal erleben.
War wirklich toll und es freut mich sehr dass du am darauffolgenden Morgen die Vögel nochmals richtig schön erwischen konntest.
Alles Gute für dich und hoffentlich auf bald
René
Hallo René,
vielen Dank für Deinen Kommentar! Ja, das war ein schöner Tag. Aber auch der gemeinsame Tag bei den Groß(a)trappen war klasse! Hierüber werde ich demnächst berichten.
Herzliche Grüße in den hohen Norden
Ronald