Der Pirol ist ein sehr schwer zu beobachtender, heimlicher Vogel. Meist bemerkt man ihn nur an seinen unverkennbaren, schönen Flötentönen. Durch einen freundschaftlichen Tipp konnte ich den Pirol sogar beim Füttern seines Nachwuchses beobachten.
Den Pirol zu fotografieren ist bereits ein lang ersehnter Fotografenwunsch von mir. Oft habe ich ihn bereits flöten hören: Bei der Rohrdommel in Belgien, bei der Beutelmeise in Brandenburg, an den Thürer Wiesen – überall dort, wo es naturbelassene Feuchtgebiete gibt. Jedoch habe ich ihn niemals gesehen.
Aber es gibt ja Bernd. Bernd traf ich vor einigen Jahren bei den Purpurreihern an der Wagbachniederung. Seither besteht ein lockerer E-Mail-Kontakt. Bernd hat mir vor einiger Zeit sogar einen seiner selbst konstruierten, genialen, zerlegbaren Spezial-Hocker geschenkt. Nun erhalte ich im Juni eine E-Mail von Bernd mit einem wunderschönen Pirol-Foto und dem Hinweis: „Nach vier Jahren habe ich wieder ein Pirol-Nest entdeckt. Bist Du interessiert?“. Keine Frage! Bernd informiert mich, sobald die Kleinen geschlüpft sind und die Pirole anfangen, ihren Nachwuchs zu füttern. „Du hast nur einen Korridor von einem knappen Meter, um das Nest fotografieren zu können! Und bring den Hocker mit, ich will ihn noch optimieren!“. Trotz des sehr begrenzten Sichtfeldes nehme ich Fotofreundin Editha mit auf die lange Fahrt in die Nähe von Darmstadt. Wir werden das Kind resp. die Küken schon schaukeln.
Um kurz nach 2 Uhr in der Nacht klingelt der Wecker. Duschen, Kaffee trinken und Sachen in das Auto packen: Um 3:15 Uhr fahre ich los. Editha treffe ich eine gute Stunde später auf dem P+R-Parkplatz am Bausenberg an der A61. Punkt 6 Uhr stehen wir bei Bernd vor der Türe, eine halbe Stunde früher als verabredet. Während Editha im Auto ein kurzes Nickerchen macht, gehe ich auf eine kurze Erkundungstour durch die Altstadt.
Um 6:30 Uhr bringt uns Bernd zum Revier der Pirole. Bereits beim Aussteigen aus den Fahrzeugen hören wir die Pirole flöten. Bernd hat mit einem Stock die Stelle markiert, die wir ganz genau einnehmen müssen, um das Pirol-Nest zu sehen. Trotz aller Bemühungen von Bernd, uns das Nest zu zeigen, können wir es beim besten Willen nicht entdecken. Auch nicht mit den Ferngläsern. Wie hat er es nur gefunden?.
Während Editha den Pirol bereits frei auf einer Birke fotografiert (also der Pirol sitzt frei auf der Birke, nicht Editha) richtet Bernd mir die Kamera genau auf das Nest ein. Jetzt endlich sehe ich es auch. Beim Vergleich des Kamerabildes mit der Ansicht mit dem bloßen Auge kann ich endlich das weit entfernte Nest hoch oben im Baum ohne Hilfsmittel erkennen. Wer nicht weiß, dass das ein Nest ist, wird es von den übrigen Blätter-Puscheln kaum unterscheiden können. Lediglich die Ankunft eines fütternden Elternvogels verrät das Nest mit den drei hungrigen Mäulern. Bernd überlässt uns nun unserem Fotografen-Schicksal und fährt nach Hause.
Die fotografischen Bedingungen sind wirklich äußerst schwierig. Nicht nur, dass jeder Windhauch das Nest mit Zweigen und Blättern verdeckt, es ist auch kaum möglich, richtig zu fokussieren. Es gibt praktisch nur eine Stelle für den Fokuspunkt: Rechts unten auf dem Korpus des Nestes. Immer wenn ich versuche, den Fokus auf den fütternden Altvogel zu setzen, gerät der Autofokus „außer Kontrolle“. Manuell zu fokussieren ist auch nicht einfacher.
Ein paar Stunden später bekommen wir noch einmal Besuch von Bernd. Er bringt mir meinen optimierten Hocker zurück und optimiert auch noch einmal Höhe und Ausrichtung meiner Kamera. Die Schwierigkeiten bleiben zwar, aber die Fotos werden besser. Klar, dass ich auch ein paar Videosequenzen vom Nest und von der Fütterung drehe.
Editha, die sich bisher hauptsächlich auf die freie Pirol-Birkensicht konzentriert hat, richtet nun ihre Kamera unmittelbar neben meiner parallel aus und hat jetzt ebenfalls eine (den Umständen entsprechende) gute Sicht auf das Nest.
Nachdem meine Kontrolle ergeben hat, dass einige Fotos darunter sind, die einigermaßen scharf erscheinen (die Wahrheit stellt sich leider immer erst bei der Bildentwicklung am PC heraus), möchte ich natürlich ebenfalls die Altvögel in der Birke fotografieren. Leider ist das Licht nicht mehr so gut, wie am Morgen. Zudem haben die Vögel wohl gerade Mittagspause. Bis zum Kaffee muss ich warten. Da macht sich die Müdigkeit bemerkbar! Ich muss aufpassen, dass ich nicht hinter der Kamera einschlafe und vom Hocker falle.
Endlich erscheint der Pirol in der Birke. Leider teilweise verdeckt von einigen dünnen Ästen. Weiteres geduldiges Warten ist angesagt, bis der Pirol eine halbwegs optimale Position anfliegt.
Schließlich setzt sich das Weibchen mit einem Insekt im Schnabel für uns gut fotografierbar in die Birke. Dort bleibt es eine geschlagene halbe Stunde sitzen, ehe es, das Insekt noch immer im Schnabel, davonfliegt! Ich persönlich wäre psychisch gar nicht in der Lage, mir ein Grillkotelett eine halbe Stunde vor den Mund zu halten, ohne es herunterzuschlucken.
Den geplanten Abstecher zu den Rothalstauchern am etwa 50 km entfernten Pfaffensee lassen Editha und ich fallen. Dieser Umweg wäre dann doch zu anstrengend. Wir machen uns stattdessen auf den Heimweg. Der Verkehr auf der Autobahn hat deutlich zugenommen. Am Morgen sind wir bei Koblenz von der A61 auf die A3 gefahren. Glücklicherweise haben wir uns aber jetzt dafür entschieden, über Bingen zur A61 zurückzukehren. Im Radio hören wir später von einem größeren Stau auf der A3 bei Wiesbaden.
Auf jeden Fall sind Editha und ich einer Meinung, dass die anstrengende Fahrt sich gelohnt hat. Bernd sei Dank!
Trotz der Müdigkeit übertrage ich die über eintausend Fotos noch in den PC und schaue mir die Aufnahmen gemeinsam mit meiner Frau stichprobenartig an. Das Löschen der verunglückten Bilder und das Verschlagworten der gelungenen, werde ich auf den nächsten Tag verschieben. Jetzt heißt es erst einmal: Ausschlafen!!
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Nachruf:
Was Editha und ich zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen: Es war unsere letzte gemeinsame Fototour. Ich sollte sie nicht wiedersehen. Einige Tage später erkrankt Editha schwer. Drei Monate später erreicht mich die Nachricht von ihrem Tod während meines Höchenschwand-Aufenthalts am Abend vor ihrer Beisetzung. Eine gute Freundin, ein lieber Mensch und eine tolle Naturliebhaberin ist von uns gegangen. Auf Wiedersehen, liebe Editha!
Hallo Ronald,
was für ein Erlebnis !
Ich habe erst zweimal einen Pirol gesehen.
Beide Male flog er auf und davon als ich mich einem Baum näherte, in dem er gesessen hatte, was ich jedoch gar nicht gesehen hatte.
Gehört habe ich ihn jedoch schon einige Male.
Vielleicht gelingt mir auch eines Tages mal ein Shot. 🙂
Schade, dass deine Freundin nicht mehr unter uns weilen darf *schnüff*.
LG Frauke
Hallo Frauke,
vielen Dank für Deinen Kommentar!
Ja, der Pirol war schon ein Highlight! Bis zu diesem Tag ging es mir pirolmäßig genauso wie Dir. Aber vielleicht hast Du ja auch mal das Glück, einen dieser gelben Vögel zu erwischen. Ich gönne es Dir.
Liebe Grüße
Ronald
Hallo Herr Wasserrab,
es sind wunderschöne Aufnahmen vom Pirol
und sehr informativ, danke.
Es ist sehr traurig das Editha nicht mehr so tolle Aufnahmen machen kann.
Durch meinen Bruder Bernd Martenczuk wurde ich auf diese
Fotos und Video aufmerksamm gemacht.
Ich wünsche ihnen noch viele schöne Aufnahmen.
Liebe Grüße
Monika Meffert
Hallo Frau Meffert,
vielen Dank für Ihren Kommentar!
Ja, schade, dass man nur noch meine Fotos sehen kann und nicht mehr diejenigen von Editha. Ihre Website ist nicht mehr online.
Liebe Grüße an Sie und Ihren Bruder
Ronald Wasserrab
immer noch von Trauer befallen möchte ich Deinen wunderbaren Artikel in höchsten Tönen loben.
Bernd Martenczuk
Hallo Bernd,
vielen Dank! Vor allem, weil ohne Dich die Bilder nicht zustande gekommen wären!
Liebe Grüße
Ronald