Warum heißt eine Beutelmeise wohl Beutelmeise? Weil sie ihren Nachwuchs wie ein Känguru in einem Beutel trägt und so mit den Küken umherfliegt? Das muss ich sehen, dem muss ich auf den Grund gehen! Die Linumer Teiche sind dazu der richtige Ort.
Nachdem ich gestern erfolgreich bei Buckow die Großtrappen fotografiert habe, stehen heute die Beutelmeisen auf dem Programm. Von meinem Hotel in Oranienburg aus ist es nicht sehr weit bis Linum und die Linumer Teiche. Linum nennt sich auch „Storchendorf“. Und tatsächlich, während ich durch das Storchen-Nest fahre, sehe ich ungewöhnlich viele Storchennester.
Und noch einen Superlativ gibt es hier: Zu den Zugzeiten sind die Linumer Teiche das Ziel von ca. 60.000 Kranichen, die hier ein ideales Rastgebiet vorfinden.
Jetzt ist aber keine Zug-, sondern Brutzeit. Und in der sind die Linumer Teiche u.a. für ihre Beutelmeisen-Population bekannt. Ich parke unmittelbar am kleinen Yachthafen und begebe mich auf Entdeckungsreise. Entlang des Weges, der parallel zu einem am Wochenende gut frequentierten Kanal verläuft, sind Beobachtungshütten und Beobachtungstürme gebaut worden.
In der ersten Beobachtungshütte gelingen mir einige Fotos vom Drosselrohrsänger. Ich bewege mich von Beobachtungsstation zu Beobachtungsstation und umrunde so die Teiche. Unglaublich viele schillernde Libellen sehe ich. Auf einem der Linumer Teiche befinden sich zwei Brutflöße, auf denen Möwen und vor allem die Flussseeschwalben für Nachwuchs sorgen können.
Nur die Beutelmeise sehe ich nicht. Ehrlich gesagt, habe ich auch versäumt, mir vorbereitend ihren Gesang oder Ruf im Internet anzuhören und einzuprägen.
Nach der Hälfte der Teichumrundung treffe ich auf ein Pärchen, bei dem Er eine Spiegelreflexkamera um den Hals trägt: „Können Sie mir sagen, wo ich die Beutelmeise finde?“
„Ja. Gehen Sie einfach weiter, bis Sie wieder an der ersten Beobachtungshütte sind. Hinter dieser auf der linken Seite am Kanal ist ein kleiner Baum. Da hat sie ihr Nest. Wenn Sie es nicht finden, zeigen wir es Ihnen, denn wir kommen Ihnen auf unserer Runde entgegen.“.
Schön, wenn man auf solche netten, hilfsbereiten Leute trifft. Natürlich reiche ich ihnen meine Visitenkarte mit der Adresse meiner eifelpanorama-Website.
Hinter der ersten Beobachtungshütte, aus der heraus ich vor einer knappen Stunde den Drosselrohrsänger fotografiert habe, brauche ich nicht lange zu suchen. Drei Frauen, schwer bewaffnet mit 150-600 mm Zoom-Objektiven, verraten mir den Standort der Beutelmeise. Wären sie vorhin schon hier gewesen, hätte ich mir die Teichumrundung vorerst sparen können.
„Die Beutelmeise war gerade hier.“, werde ich empfangen. Angeregte Gespräche über die Naturfotografie verkürzen uns die Wartezeit bis zum nächsten Eintreffen des obskuren Objekts der Begierde.
Um den Damen zu zeigen, dass ich auch etwas zu bieten habe, öffne ich vorsichtig die Reißverschlüsse meiner Zipper-Hose. Als Teile meiner Beine nun endlich das Licht der Welt erblicken, ist mir schon etwas wohler. Denn es ist unglaublich warm und die Sonne brennt.
Plötzlich entdecke ich etwas: „Da ist sie!“ rufe ich. Eine kurze Stippvisite der Beutelmeise, aber schon ist sie wieder weg. Keiner von uns hat in dieser kurzen Zeit und bei den Lichtverhältnissen ein vernünftiges Beutelmeisen-Foto bekommen.
Endlich begreife ich, dass die Beutelmeise gar keinen Känguru-Beutel am Leib hat, in dem sie ihren Nachwuchs spazieren fliegt, sondern dass sie kunstvoll ein Nest webt, das wie ein Beutel aussieht. Für mich hat es aber eher die Form einer Laterne. Nach der Meinung vieler Ornithologen hängt dieses Nest an einem dünnen Ast. Ich persönlich bin allerdings der Überzeugung, dass es sich nicht um ein Ästchen, sondern um das Kabel für die Innenbeleuchtung handelt.
Gegen 13:00 Uhr verlassen mich die Damen, um zu Mittag zu speisen. Ich selber harre in der sengenden Sonne aus. Unbedingt will ich die Beutelmeise erwischen. Auf dem Kanal fahren die Boote hin- und her. Touristen-Boote halten genau mir gegenüber vor dem Beutelmeisen-Nest, und der Bootsführer erklärt den Touris lauthals, dass dies ein Beutelmeisennest ist. Kein Wunder, dass die Beutelmeise heute, am Sonntag, keinen großen Bock auf ihr Nest hat.
Plötzlich riecht es etwas versengt. Es ist kein Kurzschluss im vorgenannten Stromkabel für die Innenbeleuchtung, sondern mein linkes Ohr, das sich anfühlt, als wäre es während des stundenlangen Wartens auf den Beutelmeiserich von der sengenden Sonne bereits fast völlig verkohlt.
Gegen 15 Uhr spaziert ein Ehepaar an mir vorbei.
Sie fragt: „Ist das ein Wespen- oder Hornissen-Nest?“.
Ich: „Ja, das ist ein Nest. Aber eines von der Beutelmeise. Das Männchen baut immer mehrere Nester und die Herzensdame darf dann eines auswählen. Wenn ihr keins gefällt, muss er ein neues bauen.“.
Sie: „Coole Regelung.“.
Er: „Vergiss es!“.
Gegen 15:30 Uhr lässt mich ein aufziehendes Gewitter befürchten, dass mein rechtes Ohr durch Blitzschlag das Aussehen des linken Ohres annehmen könnte. Ich mache mich auf den Weg in mein Hotel.
Am nächsten Morgen stehe ich wieder am Beutel der Beutelmeise. Etwa eine halbe Stunde nachdem ich mein Foto-Equipment aufgebaut habe, kommt sie angeflogen und gibt eine minutenlange Sonder-Vorstellung. Sie fliegt auf das Nest, in das Nest, schaut aus dem einen Eingangs-Loch heraus, fliegt zum anderen hinein, klettert unter das Nest usw. Und das bei gutem Morgenlicht! Ich bin begeistert!
Ich unternehme noch eine größere Erkundungstour durch das Gebiet der Linumer Teiche, bevor ich wieder in das Hotel fahre.
Am nächsten Morgen treffe ich mich um 04:30 Uhr mit René, den ich vor drei Tagen bei den Großtrappen kennengelernt habe, in der Döberitzer Heide. Hierüber berichte ich allerdings gesondert (siehe: „Potemkinsche Vögel? Gross-Attrappen? Grosstrappen?“ und „Sielmann und die Rote Armee – In der Döberitzer Heide“ ). Aber am Nachmittag fahre ich mit René gemeinsam noch einmal zu den Linumer Teichen, um mich für seine „Führung“ durch die Döberitzer Heide zu revanchieren. Noch vor dem Parkplatz gibt es einen Beobachtungsturm, den ich diesmal aufsuche und von dem aus ich u.a. Rothalstaucher bei Brut und Aufzucht beobachten kann. Leider sind sie sehr weit entfernt.
Schade, dass meine Zeit so begrenzt ist, denn hier lässt sich noch viel mehr beobachten: Rohrdommel, Zwergdommel, Blaukehlchen, Bartmeise, Pirol usw. usw.
Morgen werde ich allerdings noch einmal alleine die Döberitzer Heide erkunden und dann die Fahrt Richtung Heimat antreten.
Hier die Links zu den Berichten meiner beiden großen Frühlings-Rundreisen:
Pralles Leben im Norden Teil I – Im Ochsenmoor
Pralles Leben im Norden Teil II – Am Jadebusen
Pralles Leben im Norden Teil III – Odinsloch und Umgebung